Der Code formiert Rechtssätze (Propositionen) nach den Formationsregeln der Jurisprudenz. Die Bedeutung eines Rechtssatzes wiederum zeigt sich in anderen Sätzen. Den Code stellt man gewöhnlich als jene Regel vor, mit der Elemente zweier Bereiche – des einen und des anderen Satzes – einander zugeordnet werden (Eco 1991: 76ff.; Flusser 1996: 74ff.). Das ist einfach und nicht weiter interpretationsbedürftig, wenn es sich um die Zuordnung von Zahlen zu Temperaturen durch ein Thermometer handelt. Die Klarheit ändert sich, wenn Verhalten auf Sprache oder – wie bei Sätzen – Sprache auf Sprache zugeordnet werden. Dann mag es zwar eine Vorstellung über die Zuordnung geben, aber die dabei verwendete Regel kann deshalb noch lange nicht in der Form eines Immer-wenn/dann-Satzes formuliert werden. Fortlaufend schleichen sich Ausnahmen oder Fälle ein, die der Regel offenbar nicht entsprechen. Das führt dazu, dass eine formulierte Regel tatsächlich nie ganz und meist noch nicht einmal im Wesentlichen der tatsächlichen Zuordnungsweise entspricht. Kaum einmal wagt es jemand, den Immer-wenn-Anspruch für den Rechtscode zu erheben, obwohl hier der Anspruch auf besondere Klarheit und Deutlichkeit für die Zuordnungsregeln herrscht.
Die Bedeutung des einzelnen Zeichens wird durch eine aus dem Code entnommene mögliche Interpretation wiedergegeben, die aus anderen Zeichen besteht (Goodrich 1987: 174ff). Die juristische Semantik (hier eigener Eintrag) beruht in ihrer äußeren Form auf der Bezugnahme von Zeichen auf Zeichen. Das zu kommentierende Zeichen wird auf ein anderes, möglicherweise besser verständliches oder scheinbar nicht mehr interpretationsbedürftiges Zeichen bezogen. Dieses andere Zeichen darf wechselnde Formen annehmen. Wenn man nach seiner Bedeutung fragt, erhält man Verweisungen innerhalb des Rechtscodes in Richtung auf alltagsähnliche Geschichten, den Fall. Für die einzelnen Stufen der Verweisung von Sätzen auf andere Sätze wird ein in Regeln gefasstes Programm benötigt. Diese syntaktisch-semantische Gesetzesform wird in der Jurisprudenz selbst entwickelt und heißt Rechtsdogmatik (Ballweg 1970: 116). Wenn solche Programme nicht wörtlich im Gesetz enthalten sind, werden sie durch Kommentare erzeugt.
Insofern organisiert der Code in Form des autoritativ für bedeutsam erklärten Textes (also des Gesetzbuchs) die weiteren Operationen innerhalb der Jurisprudenz. Napoleon nannte sein Gesetzbuch „Code (Napoléon)“. Der gesetzliche Code präsentiert die Zeichen, an die man sich syntaktisch anschließen muss, er gibt zu fragen auf, welche Bedeutung semantisch als bedeutsam erklärt worden ist, und er unterwirft pragmatisch alle diejenigen, die als Adressaten mit ihm umgehen, und das tun selbst diejenigen, die ihn verändern.
Zitierte Literatur: Ottmar Ballweg (1970): Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel
Vilém Flusser (1996): Kommunikologie, Mannheim (Schriften, Bd. 4)
Umberto Eco (1991): Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen, 2. Aufl. München (EA 1976)
Peter Goodrich (1987): Legal Discourse. Studies in Linguistics, Rhetoric and Legal Analysis. Basingstoke