Dispositiv

Dispositive hat Michel Foucault (1994: 299) beobachtet. Als Dispositiv bestimmt Foucault „une sorte – disons – de formation, qui, à un moment historique donné, a eu pour fonction majeure de répondre à une urgence“, also einen Formenzusammenhang, der im Wesentlichen auf eine Not reagiert. Individuell besteht die Not darin, dass jemandem etwas fehlt – buchstäblich, weil es weggenommen worden ist, oder sinnbildlich, weil man etwas hätte bekommen wollen. Es geht also um ein Begehren, das sich über Knappheiten formiert. Knapp ist die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für individuelle Not, knapp unter Umständen auch die individuelle Geduld mit dem Zuwarten und Nichtstun der Anderen. Die Ungeduldigen, Entrechteten oder Zornigen werden Kohlhaase (und manche töten auch heute). Obrigkeiten aber, die vor allem weg sehen, nichts tun oder die Angelegenheiten der Einzelnen für unerheblich erklären, riskieren ihren Status. Bereitgestellt werden deshalb ein Verfahren, Personen, die es berufsmäßig betreiben, und Mittel für jedermann, ein solches Verfahren in angemessener Zeit zu einem selbst gewählten Inhalt in Gang zu bringen. Die Erfahrungen im Justizdispositiv sind oft schlecht. Die Nöte werden nicht befriedigt, können auch gar nicht befriedigt werden, weil die Formen im Dispositiv etwas anderes verlangen, als die Beteiligten brauchten. Auch das wird einkalkuliert und die Befriedigung verschoben, nämlich im Instanzenzug, der neuzeitlich zur Grundausstattung des Rechtsstaats gehört. Das Justizdispositiv ist in diesem Sinne ein Apparat oder ein Gefüge von Vorrichtungen, gespannt zwischen gesellschaftlicher Not und dem Begehren nach Entscheidung über zentrale Lebensinhalte, leider auch verbunden mit der institutionellen Erfahrung, dass dieses Begehren nicht erfüllt werden kann.

Cornelia Vismann (2011: 17-96) unterscheidet in der Justiz ein theatrales und ein agonales Dispositiv. Das Gericht ist Theater, und es ist gleichzeitig auch Entscheidungsdrama. Manchmal ist es mehr das eine als das andere. Die Entscheidung löst auf und transformiert (sie verwandelt die rachedurstigen Erinnyen in haushütende Eumeniden) und hat damit gleichsam therapeutische Wirkung. Aber es bleibt unklar und der konkreten Aufführung in einer Verhandlung überlassen, ob und wann wirklich entschieden wird. Ob eine Sache zur Entscheidung reif ist (§ 300 ZPO), bleibt der theatralen Seite des Gerichts überlassen und ist nicht definiert. Immer wieder hat es in der Geschichte des Zivilprozesses Versuche gegeben, den Rechtsstreit funktional, entscheidungsorientiert und vor allem: schleunigst, schleuniger jedenfalls als zuvor auszugestalten. Der Erfolg ist bescheiden geblieben, und selbst wenn ein Urteil ergeht, bewirkt es nicht das, was die Begehrenden damit für sich haben erreichen wollen. Befriedigt – darf man mit Lacans Thesen zum Begehren allgemein sagen – wird das Entscheidungsbegehren niemals. Was man im weltlichen Agon erhält, ist ein anfechtbares Urteil, kein Götterspruch.

Zitiert wurde aus:

Foucault, Michel (1994): «Le jeu de Michel Foucault», in: Dits et Ecrits 1954-1988, Bd. III, Paris, S. 298-329.

Vismann, Cornelia (2011): Medien der Rechtsprechung, hrg. v. A. Kemmerer u. M. Krajewski, Frankfurt a.M.