Die Referenz bestimmt die Beziehung der Sprache zur Welt. Nur weiß man nicht genau, was das denn sei: die Welt. Wenn die Referenz im Unterschied zur Signifikation darin besteht nicht nur zu bezeichnen, sondern ein Zeichen durch Bezeichnung mit einem (Referenz-)Objekt zu verknüpfen, dann könnte der Rechtscode ein Musterbeispiel für Referenzen abgeben. Das Gesetz – so lautet wenigstens der Anspruch – steht für die Gebote und Verbote, die eine Gesellschaft ausgesprochen hat. Sie müssten als Objekt schon zur Verfügung stehen. Das Urteil steht für Geschehnisse, die sich tatsächlich ereignet haben und nach dem Gesetz wie ausgeurteilt behandelt, also vorgeschrieben oder verboten werden müssen – kein Zweifel, dass die Ereignisse, auf die sich das Urteil bezieht, als Objekt schon vorhanden sein müssen, damit auf sie referiert werden kann. Allgemein steht der Rechtssatz in dieser Sicht immer für etwas, das jenseits der Satzform Wirklichkeit beansprucht. Das hat umgekehrt zur Folge, dass Rechtssätze, soweit sie „Tatsachengehalt“ haben, dem Beweisverfahren unterliegen. Die Tatsachen sind nachzuweisen oder zu widerlegen. Wenn etwas weder nachgewiesen noch widerlegt werden kann, entscheiden Regeln der Beweislast, wie das Urteil auszusehen hat. Denn der Rechtsgehalt von Gesetz und Urteil steht für jeden Fall fest; er wird nur richtig oder falsch erkannt. Insofern hat jeder Rechtssatz auch eine ontologisch fundierte Referenzfunktion (Neumann 1979), die recht verstanden selbst als rhetorisch-semiotische Wirkung im Verhältnis zwischen Sender und Empfänger in Bezug auf einen Interpretanten aufzufassen ist (Grasnick 1996). Diese Referenz spiegelt die Welt allerdings in allen genannten Beziehungen nur unter Bezug auf andere Sprachzeichen. Auf „die Welt“ und „das Objekt“ kann man sich nicht „an sich“, sondern immer nur unter mit Hilfe und unter Bezug auf andere Zeichen beziehen. Diese Form der Referenz stellt dann allerdings eine wesentliche juristische Tugend und rhetorische Pflicht dar. Man hat sich auf die Stellungnahmen und Meinungen der anderen zu beziehen.
Fremdreferenzen bestimmen mindestens den Anfang, wenn nicht den wesentlichen Teil einer Entscheidung. Bevor man sagt, was man meint, referiert man auf die Meinungen der anderen und gibt somit kund, dass man die Welt kennt. Die Welt wird über Fremdreferenzen zum Gegenstand der juristischen Bezeichnung. Denn es lässt sich satzsemantisch leicht zeigen, dass die Referenz so auswählt, dass die Welt im Zugriff der sodann formulierten eigenen Meinung zugänglich wird. Sie ist nicht „an sich“, sondern für den Entscheider in dessen Weltsicht von Bedeutung. Eine spezielle Form der Fremdreferenz ereignet sich in der Übernahme weltbezogener Feststellungen aus anderen Disziplinen. Propagiert wurde dieser Wirklichkeitsanspruch eine Zeit lang unter der Formel einer „Einbeziehung“ sog. „Nachbarwissenschaften“, wobei schon verkannt wurde, das das Recht semiotische Praktiken ausbildet, aber in seiner weit überwiegenden Form nicht wissenschaftlich operiert. Realisiert und in der Disziplin durchaus begrüßt wurden und werden jedoch Fremdreferenzen in Form der Beschäftigung von und Bezugnahme auf Sachverständige. Neben Fremdreferenzen treten Selbstreferenzen, stilisierte Bezeichnungen der eigenen Welt, am kürzesten und am wenigsten überprüfbar in Form der „herrschenden Meinung“ oder „ständigen Rechtsprechung“, also in Form von Aussagen der Juristen über ihre eigenen Aussagen, solche „die darüber Auskunft geben, wie es zu den juristischen Sachfeststellungen gekommen ist“ (Sobota 1990: 29). Die semiotische Praxis bildet sich insofern selbstreferentiell auch auf der Darstellungsebene ab. Was dann noch bleibt und nicht in die Disziplinäre Sprechweise vereinnahmt wird, ist Widerspruch, Widerstreit, also „différend“ im Sinne von Lyotard (siehe dort). Die juristische Unruhe, das Unbehagen an bezeichneten Ergebnissen, der Protest gegen manifeste Ungerechtigkeit – sie alle verweisen auf außerrechtliche Sätze und damit auf noch nicht vereinnahmte Referenzbeziehungen.
Insofern haben gerade Juristen häufig den Eindruck, es gäbe sie doch: die Welt, das Objekt an sich oder das Faktum ohne Zutat. Ein Schriftsatz, der die Daten eines Ereignisses verfälscht oder dessen Darstellung sich mit den Daten nicht mehr vereinbaren lässt, wird als unwahr ausgeschieden. Wahrheit ist im modernen Gerichtsverfahren zum Referenzkriterium geworden, der Wahrheit muss jedes Urteil gerecht werden, es kann sich davon ein Stück weit entfernen, es kann Umstände für wichtig und andere für unwichtig („unerheblich“) erklären: Im Wesentlichen kann sich das Urteil dem Wahrheitsanspruch nicht entziehen, und damit unterliegt es einer außerrechtlichen Referenzbeziehung. Es ist nicht nur selbstbezügliche Bezeichnung.
Zitierte Literatur:
Grasnick, Walter (1996), „Ontologie versus Rhetorik – et vice versa”. Jahrbuch für Rhetorik 15: 66-80
Müller, Friedrich, Christensen, Ralph, und Sokolowski, Michael (1997), Rechtstext und Textarbeit. Berlin
Neumann, Ulfried (1979). Rechtsontologie und juristische Argumentation. Zu den ontologischen Implikationen des juristischen Argumentierens. Heidelberg und Hamburg
Sobota, Katharina (1990), Sachlichkeit, rhetorische Kunst der Juristen. Frankfurt a.M., Bern, New York und Paris.