Die Semantik umfasst in der Definition der Grundlagen durch Charles W. Morris (1972: 42) die Beziehung der Zeichen „zu ihren Designaten und darum zu den Objekten, die sie denotieren oder denotieren können“. Man pflegt heutzutage oft von der Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung zu reden. Das ist ein komplexes und so umfassendes Unternehmen, das mit einer solchen Bezeichnung eigentlich nicht differenziert, sondern die gesamte Semiotik unter dem Aspekt der Semantik erfasst wird. Dann werden als Semantik auch die Relationen zwischen den Zeichen selbst (ihre Logik im Peirceschen Sinne) und die zu den Zeichenverwendern einbezogen, womit „Bedeutung“ nicht mehr als Namensbeziehung verstanden, sondern auch unter Gebrauchsgewohnheiten betrachtet wird. Das Recht enthält zwar Regeln über Namen, versteht seine Ausdrücke aber selbst gerade nicht als Namen. Mit einer „Willenserklärung“ soll etwas Wirkliches erfasst, nicht nur einem Verhalten ein Name gegeben werden. Das hat Morris später (nämlich 1946 in „Signs, Language and Behavior“) veranlasst, sich vom Begriff der „Bedeutung“ zu emanzipieren und allein davon zu reden, dass ein Zeichen „ein Signifikat signifiziert“ (Morris 1973: 92). Signifikation als Ersatz für Bedeutung zu akzeptieren, wirkt wie eine tautologische Wendung. Der Begriff tritt im Rahmen einer 1946 dann pragmatisch integrierten Betrachtungsweise als Erklärung für Semantik auf, wobei nicht einfach Bezeichnungen und Objekte in Beziehung gesetzt werden sollen, sondern Bezeichnungen mit Vorstellungen von Personen über Objektverhältnisse. Man muss die Semantik deshalb mit Peirce (der den Ausdruck nicht benutzte) als eine mindestens dreistellige Beziehung auffassen, wobei lediglich die als Signifikant hervortretende Bezeichnung und die mental repräsentierten Vorstellungen (Bedeutungen) hervortreten, während die vorgestellten Objektverhältnisse im Hintergrund bleiben und mit weiteren (semantischen) Konkretisierungen näher aufgeklärt werden können. Die Sprachwissenschaft liefert Beispiele für solche Zeichenverhältnisse, und zwar vorzugsweise im Bereich der Lexikologie, die mit historischem Interesse die geläufigen Bezeichnungsweisen in zeitgenössischen Texten erforscht. Eine solche lexikalische Semantik erfordert immer, Verwendungsbeispiele in einem Korpus zu sammeln und dann die Arten der Verwendung ihrer Intention nach zu unterscheiden. Die Lage- und Situationsbezogenheit wird auf diese Weise in die Semantik einbezogen (Vogel 2012). Die juristisch-dogmatische Semantik hat diesen Stand bisher nicht erreicht. Man stellt dort keine Textkorpora zusammen, sondern pflegt kommentierend und korrigierend einzelne Verwendungsweisen herauszugreifen, um sie kraft Autorität der jeweiligen Quelle bzw. des Autors für maßgeblich zu erklären.
Diese Version von Semantik hat grundlegende methodische, insbesondere linguistisch-semiotische Kritik erfahren, an deren Anfang die Schriften von Friedrich Müller stehen. Müller hat aus einer frühen Kritik des Textes der Verfassung (Müller 1995) in einem interdisziplinären Unternehmen Bausteine für eine rechtsstaatliche Verfassung von Texten zu entwickeln versucht (Seibert 1991). Das Ziel des Unternehmens (Müller 1989) besteht darin, neben der Einheit des Zeichens den Gerechtigkeitsappell in eine neu strukturierte Rechtsdisziplin zu übersetzen. Die Strukturierung soll den Prozess der Erzeugung rechtlichen Sinns zunächst einmal diskutierbar und insofern auch öffentlich darstellbar zu machen. Insofern wird eine andere, eine neue Rhetorik des Rechtsverfahrens entwickelt.
Das klassische Thema der Gesetzesbindung hat Busse neu formuliert. In zwei Teilen einer einheitlichen Arbeit dekonstruiert Busse (1993) einmal die juristische Semantik und fragt zum anderen, wie unter linguistischen Gesichtspunkten “Recht als Text” (1992) funktioniert. “Semantik” sieht Busse unter Juristen nicht als semiotische Dimension neben Syntaktik und Pragmatik begriffen. Vielmehr erscheint Pragmatik in nicht verdinglichender Form erst dann möglich, wenn der Werkzeugcharakter der Bedeutung, wie er in der Diskussion über Recht und Sprache auftaucht, überwunden und aufgegeben wird. “Etwas Rührendes” findet Busse in dem juristischen Vertrauen in die Verlässlichkeit der Sprache ebenso wie in dem hypostasierten Produkt eines„Sprechermeinens“ oder in der Konstruktion von Verwendungsregeln (1993: 226). Alle diese angeblich methodischen und linguistikbezogenen Lehren übersehen und verdecken den sprachschöpferischen Umgang mit Texten in der Institution Recht. Busse stößt auf diese Sprachkonstruktionen, weil„der Anteil allgemeinsprachlicher Elemente an der Explikation eines Normtextes so gering ist, dass von einer durchgängigen Fachlichkeit seiner Interpretation in allen ihren Elementen gesprochen werden muss“(1992: 190). Das Ziel einer linguistischen Analyse sei es dann,„die komplexe Praxis der Entscheidungsfindung als institutionellen Handlungsbereich …. näher zu bestimmen“ (Busse 1993: 258).
Zitierte Literatur:
Busse, Dietrich (1992), Recht als Text. Linguistische Untersuchungen zur Arbeit mit Sprache in einer gesellschaftlichen Institution, Tübingen.
Busse, Dietrich (1993), Juristische Semantik. Grundfragen der juristischen Interpretationstheorie in sprachwissenschaftlicher Sicht, Berlin.
Charles William Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, (Orig. 1938), dt.: München 1972.
Charles W. Morris, Zeichen, Sprache und Verhalten, (Orig. 1946), dt.: Düsseldorf 1973.
Müller, Friedrich (1989), Untersuchungen zur Rechtslinguistik. Interdisziplinäre Studien zu praktischer Semantik und Strukturierender Rechtslehre in Grundfragen der juristischen Methodik, Berlin.
Müller, Friedrich (1995), Fragment (über) Verfassunggebende Gewalt des Volkes. Elemente einer Verfassungstheorie V, Berlin.
Seibert, Thomas-M. (1991), “Zeichen und Gesetzesbindung”. Rechtstheorie 22: 472 – 488.
Friedemann Vogel, Das Recht im Text. Rechtssprachlicher Usus in korpuslinguistischer Perspektive, in: E. Felder/M. Müller/F. Vogel, Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen, Berlin u.a. 2012, 115-174.