An Kohlhaas scheiden sich die Geister. Die literarische Figur des Michael Kohlhaas taugt bis zum heutigen Tage dazu, das Rechts- und Staatsverständnis von Juristen wie Bürgern zu polarisieren. Man muss „sich klarwerden, ob man Kleists Kohlhaas mit Angst um Kohlhaas oder Angst vor Kohlhaas liest (Naucke, in: Textausgabe 2000, 112).
Die Person ist historisch belegt (dazu am besten Duncker 1999). Beim Kaufmann Hans Kohlhase wurden 1532 auf dem Weg nach Leipzig durch die Bauern eines sächsischen Junkers zwei Pferde beschlagnahmt, die er auf dem Prozesswege nicht freibekommen konnte. Allerdings fielen die Prozessbemühungen des historischen Kohlhase nach den Akten dürftig aus. Vor sächsischen Verwaltungsstellen fanden zwar Güteverhandlungen statt, die aber zu keinem Ergebnis führten, weil Kohlhases Gegner Zaschwitz einen Kompromiss verweigerte. Kohlhase wertete dies als Verzögerungstaktik, sammelte Unzufriedene um sich und sagte dem Junker wie dem ganzen Lande Sachsen die Fehde an. Im Verlauf längerer Kämpfe wurde er schließlich auf brandenburgischem Gebiet gefangen genommen und hingerichtet. Dieses historische Geschehen formte Heinrich von Kleist in der Novelle Michael Kohlhaas (1810) zum Symbol für übersteigerte Rechtsleidenschaft (so Bloch 1961: 93f). Die Symbolwirkung beruht auf zwei Eingriffen und Veränderungen im Verhältnis zum Fall. Aus der Verweigerung im Rechtsweg wird Willkür, und aus der zeitgenössisch nicht unüblichen Fehde ein Kampf um den Zugang zur Gerechtigkeit. Das „Kohlhaasische Mandat“ fordert die Staatsmacht in einzigartiger Weise heraus, dem Junker, „mit dem er in einem gerechten Krieg liege, keinen Vorschub zu tun“ , und verpflichtete „jeden Bewohner, seine Verwandten und Freunde nicht ausgenommen, … denselben bei Strafe des Leibes und unvermeidlicher Einäscherung alles dessen, was ein Besitztum heißen mag,“ an Kohlhaas auszuliefern. Das Besondere am Text besteht darin, dass diese Rebellion motiviert wirkt und man verstehen kann, wie Recht gegen Macht in Stellung gebracht wird. Das überlieferte schlichte Ende eines Verbrechers erscheint bei Kleist als mystische Transformation der weltlichen Rechtsansprüche. Die alte Ordnung wird wiederhergestellt (Linder, Textausgabe, 135, interpretiert das als Inszenierung).
Als Rechtszeichen ist die Michael Kohlhaas-Situation geblieben. Abstrakt kann man sie daran erkennen, dass sich die Legitimität der rechtlichen Reaktion erst im Hinblick auf die institutionelle Behandlung ergibt. Vorsichtiger verallgemeinernd heißt das: Zunächst einmal handelt es sich um eine sehr alltägliche und in vieler Hinsicht banale Situation, die weder Leben und Tod noch Hab und Gut allgemein zur Debatte stellt. Es ist auch nicht ganz einfach, Dritten die Streitanteile überhaupt deutlich zum machen, ohne auf Einzelheiten, Entwicklungen oder Für und Wider einzugehen. Erst die Art der Drittvermittlung führt zu einem dann aber gleich ganz heftigen Gefühlsstau, der sich auf der Michael Kohlhaas-Seite mit einem spontanen Rechtsgefühl des Lesers bzw. des dritten Beobachters verbindet. Die Macht- wie die Begründungsverhältnisse sind empörend ungleich verteilt. Der Ohnmächtige hat gute Gründe auf seiner Seite, mit denen sich niemand beschäftigt, es regiert stattdessen – wie Kleist (Textausgabe: 13) es nennt – der Ungrund des situativ Mächtigen. Aber je länger eine solche Kohlhaas-Situation andauert, um so schwieriger ist sie zu entwirren, bis sie am Ende zu einem ganzen Chaos ausartet. Beschränkt man sich darauf, muss man sich – wie Naucke kommentiert – „klarwerden, ob man Kleists Kohlhaas mit Angst um Kohlhaas oder Angst vor Kohlhaas liest“ Naucke, in: Textausgabe: 112).
Textausgabe: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren v. Wolfgang Naucke und Joachim Linder, Baden-Baden (Nomos) 2000.
Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt a.M. 1961.
Malte Dießelhorst/ Arne Duncker (1999), Hans Kohlhase. Die Geschichte einer Fehde in Sachsen und Brandenburg zur Zeit der Reformation, Frankfurt a.M. u.a.