Die Idee des Rechtszeichens wird in der französischen Aufklärung formuliert. Zwar erscheint das praktizierte Recht immer verschwistert mit der staatlichen Macht, und es mag sein, dass der Leviathan die Minimalbedingungen des Menschseins garantieren muss. Dennoch verspricht die Idee etwas anderes. Sie verheißt die Offenbarung humanen – und das heißt neuzeitlich: freiheitlichen – Lebens. Das aufklärerische und umstürzlerische Programm für die Rechte des Menschen hat Jean-Jacques Rousseau (1762) ebenso kämpferisch wie poetisch formuliert: “L´homme est né libre, et partout il est dans les fers. Tel se croît le maître des autres qui ne laisse pas d´être plus esclave qu´eux. Comment ce changement s´est-il fait?” Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten. Der eine dünkt sich Herr der anderen und ist doch mehr Sklave als jene. Wie ist dieser Wandel zustandegekommen?
Die Frage nach dem “Wie” enthält das semiotische Programm. Sie setzt Umstände voraus, die fortan unterstellt werden: Der Mensch ist frei, er kann und soll sich selbst bestimmen; staatliche Macht kann diese Selbstbestimmung nur sichern, ansonsten stört sie. Das Programm kennt und verbreitet demnach eine bestimmte fortschrittliche Darstellung des Geschichtsverlaufs. An diesen Teil des Zeichenkonzepts werden Kant wie Hegel später anknüpfen (Cassirer 1939). Aktuell greift das Recht des Menschen die nicht gerechtfertigten Unterschiede an, derer sich die Herren berühmen. Von diesem Ausgangspunkt her muss das Rechtsprogramm neben Pflichten auch Ansprüche enthalten werden. Man darf nicht mehr von Anfang an fragen, wozu jemand gezwungen werden kann, statt dessen repräsentiert Rousseau das Rechtszeichen im Gesellschaftsvertrag (1762). In dieser grundlegenden Schrift distanziert er sich zunächst vom Gewaltaspekt (1762, I/3, 9): Der Stärkere ist nie stark genug, immer Herr zu sein, wenn er nicht seine Stärke in Recht und den Gehorsam in Pflicht überführt. Daher das “Recht des Stärkeren”; “Recht” offensichtlich ironisch genommen, in Wirklichkeit jedoch als Grundsatz aufgestellt: aber wird man dieses Wort jemals erklären?
Es darf nicht verschwiegen werden, dass Rousseau damit ein ambivalentes Konzept entwickelt hat, dessen gewälttätige Komponente sich im Jakobinismus der Revolution sofort ausgedrückt hat. Denn Rousseau überlässt die Bildung des Gemeinwillens nicht etwa dem Gang des Diskurses (Habermas 1992, 133f). Statt dessen rechtfertigt er alle Regungen, Verlautbarungen und Gewalttaten zur Durchsetzung des Vertrags mit der vieldeutigen Formel der volonté générale. Über diese verfügt niemand individuell, sie unterliegt auch nicht etwa mehrheitlicher Beschlussfassung, sondern sie ist schlechthin das, was dem Menschen den rechten Weg zeigt. “Aus dem Vorhergehenden folgt,” meint Rousseau (II/3, 30), “daß der Gemeinwille immer auf dem rechten Weg ist und auf das öffentliche Wohl abzielt: woraus allerdings nicht folgt, daß die Beschlüsse des Volkes immer die gleiche Richtigkeit haben. Zwar will man immer sein Bestes, aber man sieht es nicht immer. Verdorben wird das Volk niemals, aber oft wird es irregeführt, und nur dann scheint es das Schlechte zu wollen.” Man kann es also zu seinem Besten zwingen. Damit erhält die ursprüngliche Freiheit eine fatale terroristische Wendung, an die François Furet (1994) zweihundert Jahre nach der Revolution erinnert hat. Im Oktober 1794 wurden die Gebeine von Jean-Jacques Rousseau auf Veranlassung der Revolutionäre nach Paris ins Panthéon überführt. Der Abgeordnete Joseph Lakanal habe dazu im Jahre 1795 vor dem Konvent erklärt: “Es ist nicht der Gesellschaftsvertrag, der zur Revolution geführt hat. Es ist vielmehr die Revolution, die uns den Gesellschaftsvertrag erklärt hat.”
Literatur:
Cassirer, Ernst (1939), Kant und Rousseau (neu veröffentlicht in: ders., Rousseau, Kant, Goethe. Hamburg 1991)
Cassirer, Ernst (1939), Kant und Rousseau (neu veröffentlicht in: ders., Rousseau, Kant, Goethe. Hamburg 1991)
Furet, François (1994), Jean-Jacques Rousseau und die Französische Revolution. Jan Patocka-Gedächtnisvorlesung des IWM, Wien.
Habermas, Jürgen (1992), Faktizität und Geltung. Frankfurt a.M.
Rousseau, Jean-Jacques (1762), Contrat social (zitiert nach der Reclamausgabe: Stuttgart 1977 mit Kap.,/Abschnitt, Seite)