Beweis

Ein Beweis ist etwas, das für jemanden etwas anderes, das zuvor zweifelhaft und in seiner Referenz ungewiss wirkte, als wirklich seiend erscheinen lässt. Es geht also um eine dreistellige Beziehung, in der lediglich zwei Stellen – nämlich die Beziehung zwischen dem Beweisstück und dem zweifelhaften Dritten – aufmerksam betrachtet werden. Es scheint so, als ob der Beweis eine reine Textbeziehung sei. Dementsprechend soll sich das Beweisstück in eine Deduktion einfügen derart: Wenn zweifelhaft ist, wer Lisaweta erschlagen hat (Dostojewskij, Verbrechen und Strafe), dann ist der Satz “Ich habe die Beamtenwitwe Lisaweta mit einem Beil erschlagen” der Beweis dafür, dass der Sprecher dieses Satzes der Täter ist.

Gegenständliche Beweise sind ikonischer, meist aber indexikalischer Art. Ikonische Beweiszeichen sind kaum widerlegbar, aber auch fast nie aufzufinden. Die Tat wird normalerweise nicht gefilmt. Ein Fingerabdruck an einem Beil muss aber erst noch in einen Satz überführt werden. Der Beweis wird dann über Indizien geführt, d.h. man muss erwarten, dass ein Satz oder ein Ding als Zeichen für einen größeren Zusammenhang verstanden werden wird. Das ist notorisch ungewiss. Ein Beweis ist nämlich nur, was in einer solchen Beziehung zu einem Ereignis steht, auf das sich der Verdacht richtet, dass es fähig ist, einen Interpretanten zu veranlassen, es als Zeichen dieses Ereignisses aufzufassen. Dabei ist zu betonen, dass ein Interpretant selbst ein Zeichen und nicht der Interpret ist, die Beweisbeziehung also zeichen- und textgebunden bleibt. Jeder Satz kann aber falsch sein und als wahres Geständnis angezweifelt werden.

Dennoch fasziniert das Indiz jeden Dritten. Er kann unmittelbar in eine Beweiswürdigung übernommen werden, also in eine Satzfolge, die den ursprünglichen Zweifel entfernt. Deshalb gilt der Fingerabdruck in der Kriminalistik verlässlicher als eine Zeugenaussage, die den Satz enthält: Er hat Lisaweta erschlagen und ich habe es gesehen. Die Bedeutung eines gegenständlichen Zeichens wird also nur über Sprachzeichen in das Rechtsverfahren eingeführt. Die Transformation in Sprache kann nicht ohne Rest erfolgen, es bleiben immer im Moment oder sogar überhaupt nicht ausdrückbare Zeichen übrig, die zwar zur Überzeugung beigetragen haben, aber in der “Beweiswürdigung”, also in der sprachlichen Fassung dieser Überzeugung nicht auftauchen. Das ist in der Moderne anerkannt. Die Beweiswürdigung – sagt man – sei eine Sache des Tatrichters. Der “Tatrichter” heißt so, weil er darüber befindet, was bewiesen ist, worin also die Tat bestehe, wer der Täter sei, was das Opfer erlitten habe und worin der Schaden liege. Diese Prädikationen – das ist es, so ist es, der war es – sollen demjenigen vorbehalten bleiben, der unmittelbar, mündlich und damit gegenwärtig mit den Beteiligten verhandelt, der sich – in einem Wort zusammengefasst – ein “Bild” von der Tat macht. Diesen Vorgang adelt das moderne geschriebene Gesetz, wenn es bestimmt, das Gericht sei in seiner Überzeugung frei (§ 286 ZPO) und schöpfe sie aus dem Inbegriff der Verhandlung (§§ 261 StPO, 108 VwGO). Aber wie bei allen juristischen Operationen lässt sich fragen: zu Recht? Ist richtig, was das Gericht feststellt, wovon es überzeugt ist? Und: wer kann das überprüfen? Das ist Sache der Revision, die dem Obergericht vorbehalten bleibt und die Schriftform der Beweiswürdigung voraussetzt. Dementsprechend verlangen alle modernen Verfahrensordnungen eine Ergänzung des Urteilsspruchs, “Gründe” genannt, in denen dessen wesentliche Inhalte “gedrängt” oder “kurz” darzustellen seien (§§ 117 Abs.3 VwGO, 313 ZPO); lediglich § 267 StPO enthält längeren Text zum Inhalt der Gründe. Sicherer wird die Beweiswürdigung dadurch nicht.