Norm

Die Norm steht im Gesetz und enthält einen Befehl. Damit werden Verhaltensweisen in erlaubte und verbotene eingeteilt. So hat John Austin im Jahre 1832 (2000, 1) die allgemeine Rechtslehre als Imperativentheorie mit dem Lehrsatz begründet, gesetzliche Normen seien Befehle und soweit sie das nicht seien, handele es sich nur um uneigentliches Recht (improper law). Die Imperativentheorie prägt die angloamerikanische Rechtslehre bis heute, und sie entspricht einem geläufigen allgemeinen Verständnis, wonach das Recht einem „Rechtsunterworfenen“ befehle, etwas zu tun, und es „der Gesetzgeber“ sei, der einen solchen Normbefehl erteile. Auf diese Weise verbindet sich die imperativische Normenbegründung mit dem Positivismus des einmal gegebenen Gesetzes. Was der Gesetzgeber beschlossen hat, hätte auch anders beschlossen werden können, soll aber so gelten, wie es eben beschlossen worden ist. Dahinter stand ursprünglich der Befehl des Königs und Kaisers und damit einer Person, die ihre Autorität von einem Gott herzuleiten pflegte. Aber auch die Demokratisierung des Herrschaftsgedankens hat dem Befehlskonzept keinen Abbruch getan, nur die symbolischen Schwierigkeiten sind erhöht. Man kann auf den Gedanken kommen, es befehle „das Volk“, vertreten durch Organe, die wiederum von Personen repräsentiert werden, auch wenn bei so vielen, teilweise ungreifbaren Beteiligten der Befehl so zwischen den Zuständigkeiten und Organen verteilt ist, dass ihn eigentlich niemand mehr gibt, jedenfalls kein ansprechbarer Jemand. Neben Imperativ und positiv-rechtlicher Regelung tritt damit noch ein drittes Problem, das der Geltung. Weil das gegebene Gesetz kontingent ist, also auch anders hätte beschlossen werden können und nur wegen des gegebenen Beschlusses befolgt werden soll, stellt sich die Frage, ob es allein wegen dieses Beschlusses auch gelte, und wenn man das bejaht, mit welchem Inhalt. Denn unter semiotischen Gesichtspunkten kann die Norm nicht ohne Weiteres mit dem beschlossenen oder verkündeten Normtext identifiziert werden. Wäre das so, würden Juristen nicht benötigt, und das Dispositiv der Justiz wäre ohne praktische Funktion. Derart inhaltlich arbeitet die Imperativentheorie aber nicht, und insofern verfährt man auf ihrer Grundlage wie die meisten Juristen und Laien, die glauben, „das Grundgesetz“ oder einfach „das Gesetz“ erlaube oder verbiete dieses und jenes. Der Kern jeder Normbefehlsvorstellung liegt in der ebenfalls normativen Vorstellung, was beschlossen und gesetzt ist, möge eben deshalb gelten. So wird der Vorrang für das geltende Recht und gegen konkurrierende Deutungen begründet. Man hat eine Wahl gehabt, kann sie aber jetzt nicht mehr nutzen, weil inzwischen ein anderer Gesetzesbefehl ergangen ist. Er steht für das positive Gesetz.

Literatur:

John Austin, The Province of Jurisprudence Determined (1832), New York 2000.