Wenn Semiotik Auskunft gibt über die Sendung von Mitteilungen an Empfänger, dann gehört die Zuordnung einer Mitteilung zu einem Sender zu den wesentlichen Vermittlungsleistungen. Das geschieht durch Unterschrift ausdrücklich. Wer unterschreibt, soll zu erkennen geben, dass er zum Inhalt der Mitteilung steht als deren Autor, auch wenn er sie nicht formuliert hat. Deshalb wird aufgefordert: Unterschreiben Sie hier! Bei besonders bedeutsamen Unterschriften wird auch noch öffentlich beurkundet, dass der Schreiber mit dem richtigen eigenen Namen unterschrieben hat. Was lässt sich gegen den Satz: „Sie haben doch unterschrieben!“ – noch einwenden? Eben das: Ich unterschreibe anders, das ist nicht mein Name! Aber das fällt normalerweise sofort auf. Ansonsten kann man sich nicht mehr so einfach distanzieren. Man muss viele Worte machen und etwa gegen die Unterschrift setzen: – Das habe ich aber so nicht unterschrieben (Die Umstände jetzt sind andere). Oder: – Als ich es unterschrieb, war der Text ein anderer (Er ist verfälscht worden). Oder: – So kann man den Text gar nicht verstehen (Interpretationseinwand).
Das sind nur einige der vielen möglichen Operationen mit und gegen die Unterschrift. Dennoch lässt sich mit ihr und damit gegen alle Opponenten meist komfortabel operieren. Die Macht aus Unterschriften kann man übersetzen in die Argumentformen: – Die späteren Umstände müssen sich an dem früheren Text messen lassen. Oder: – Der Text über der Unterschrift ist und bleibt derselbe. Oder: – Einen Sinn, den der Text nicht wirklich zum Ausdruck bringt, kann man nicht nachträglich hineininterpretieren. Wie man sieht, wird das eigentlich juristische Geschäft der Interpretation eines Textes auf seine Geltungsinhalte hin durch Unterschriften erst eröffnet. Die Unterschrift entreißt dem Sender die soeben verfasste und gesendete Mitteilung zum Zwecke der Verwendung durch andere. Das ist die erste mediale Wirkung. Unterschriften identifizieren Schreiber mit Texten, beanspruchen Geltung für Texte und trennen sie von den Umständen ihrer Entstehung.
Die mediale Botschaft der Unterschrift ist denkbar einfach und besteht in nichts anderem als in der Identitätsbehauptung a = a; was ich tue, ist hier schriftlich angewiesen, gebilligt und kann im Namen des Unterschreibenden erledigt werden. Eben damit lässt sich operieren, wie überhaupt die Unterschrift einer der wesentlichen Operatoren eines Texts ist. „Operatoren“ der Schrift hat Kittler (1994) jene Elemente eines Textes genannt, die sich (eigentlich) nicht sprechen lassen, jedenfalls (wenn man nicht akademischen Unsitten folgt) tatsächlich nicht gesprochen werden wie der Titel, die Ränder, das Motto, die Fußnoten und eben die Unterschriften. Der Signifikant ist verfügbar, nur damit kann man operieren. Operative Verfügbarkeit steht für ein politisches Merkmal der Unterschrift, wenn „politisch“ heißt: über andere zu verfügen, Macht über sie auszuüben. Dabei ist noch nicht entschieden, wer hier über wen verfügt, ob der Unterschreibende über Mitwelt und Nachwelt oder diese über ihn. Die Urkunde gibt in dem Maße zu Zweifeln Anlass, wie sie (vielleicht) Fragen beantwortet. Man muss nur genauer hinsehen. Die Form der Schriftbestandteile unterbricht damit die Präsenzillusion jeder Rede und hat Derrida (1972, 291-314) von Anfang an zu dekonstruktiven Operationen über Titel und Unterschrift motiviert. Die Unterschrift ist gerade nicht, was sie zu sein scheint. Sie ist nicht verbindlich. Es sind Juristen (und solche, die es gerne geworden wären), die auf Unterschriften dringen, und es sind Juristen, die über schon unterschriebene Texte urteilen. Deren Einfluss beruht auf theoretischen Voraussetzungen: Die Unterschrift gibt einen Musterfall für flottierende Signifikanten ab. Niemand kann genau wissen, was sie bedeutet, ihre Genauigkeit besteht eben in der ungenauen Bezeichnung von Etwas, und dieses Etwas legen Juristen später im Streitfall fest.
Literatur:
Jacques Derrida (1972), Randgänge der Philosophie (1972), hrsg. v. Peter Engelmann, Wien 1988.
Friedrich Kittler, Vom take off der Operatoren, in: Norbert Haas/Rainer Nägele/Hans-Jörg Rheinberger (Hrsg.), Im Zug der Schrift, München 1994, 193ff.