„Unverständlichkeit” ist ein neues und schon anerkanntes Zeichen im Rechtsdiskurs, das versendet werden kann und auf Seiten des Empfängers, der vorher Sender war, meist umgekehrt „Unverständlichkeit” hervorruft, weil es zu den schwierigsten Kommunikationsleistungen gehört zu verstehen, warum etwas nicht verstanden worden ist. Sogar der Bundesgerichtshof in Zivilsachen hat das mit den Worten zum Ausdruck gebracht, wenn man die Anforderungen an das Verständlichkeitsgebot überspanne, berge das „letztlich” die Gefahr der Unverständlichkeit (NJW 1993, 2054). In diesem Sinne ist Verständlichkeit immer das in einer Folgekommunikation versandte Zeichen. Es kommentiert, und der Kommentar gehört als Diskursform zu den Prozeduren der Kontrolle und Beschränkung (Foucault 1972: 18f). Im Monitum der „Unverständlichkeit” liegt der anfängliche und grundlegende Protest gegen eine vorangegangene Zeichenproduktion. Tatsächlich gibt es Recht, das sich von selbst versteht. Das ist der Ausgangspunkt der meisten semiotisch-pragmatischen Rechtsanalysen (wie Jackson 1995). Darüber muss man gar nicht reden, aber für Juristen ist es gelegentlich notwendig, daran zu erinnern, dass sich das meiste Recht von selbst versteht. Recht ist durchaus verständlich. Aber die Menge verständlichen Rechts und die Form seiner Stabilität ändern sich. Selbstverständliches Recht wird immer knapper, es wird ersetzt von zeitweiligen, vielrednerischen, aber schriftlich verknappten Formen, die nach fast allgemeiner – also auch juristischer – Ansicht nicht mehr zu verstehen sind. Verständlichkeit ist keine Eigenschaft von Kommunikationen, auch wenn häufig von „Verständigungen” gesprochen wird. Verstanden wird nicht in der Verständigung selbst, Verstehen ist ein individuelles, oft unvermeidliches Adressatenproblem. Wer nicht versteht, kennt Eigenschaften des Codes nicht und muss lernen. Das ist unvermeidlich. Im Rahmen der Umgangssprache als eines allgemeinen Mediums bemerkt man die Lernzwänge und Verständigungshindernisse, wenn man beginnt, eine fremde Sprache zu lernen. Fremdsprachen sind für jeden Benutzer von relativer Unverständlichkeit begleitet, und für jede natürliche Person ist die Rechtssprache eine Fremdsprache.
„Unverständlichkeit” ist im Recht wie in der allgemeinen Verständigung ein evolutionär modernes und in einigen Teilbereichen wichtig gewordenes Mittel der Diskurskontrolle. Dabei geht es nicht um Prozeduren der Verständnissicherung, wie sie in den Forschungen zur Sprachpragmatik (Coulmas 1977) beschrieben werden. Vielmehr wird mit der Beanstandung als unverständlich eine Äußerung anders als zuvor codiert. Zuvor ging es um Fragen der Kreditsicherung (OLG Köln NJW-RR 1989, 1266: „Klauseln, die sich – auch – an Nicht-Rechtskundige wenden, müssen die gewollte Regelung für diese allgemein verständlich zum Ausdruck bringen”), der Darlehensbedingungen (BGH NJW 1990, 2384) oder aber der Berechnung (BGH NJW 1993, 2054) oder Verlängerung einer Vertragslaufzeit (OLG Schleswig NJW 1995, 2858). Wer in wiederum nur für Juristen verständlicher Weise Unverständlichkeit rügen kann, wechselt das Thema. Gewechselt wird regelmäßig auch die Meinungskoalition. Denn es darf nicht übersehen werden, dass eine herrschende Meinung es nicht nötig hat, in ihrem Rahmen Unverständliches als unverständlich zurückzuweisen. Sie schweigt einfach. Das Zeichen „rechtlich unverständlich” bezeichnet unsicheres Recht.
Zitierte Literatur:
Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Paris 1972; dt. m. einem Essay v. R. Konersmann, Frankfurt a.M. 1998.
Bernard Jackson: Making Sense in Law. Linguistic, Psychological and Semiotic Perspectives. Liverpool 1995.
Florian Coulmas: Rezeptives Sprachverhalten. Eine theoretische Studie über Faktoren des sprachlichen Verstehensprozesses, Hamburg 1977.